Die beliebte Reihe von Weinseminaren mit unserem Mitglied & Förderer Martin Kössler von der K & U Weinhalle setzen wir nach 3 Jahren Pause endlich wieder am 23. März 2012 fort.
Nachdem die Diskussion, „wodurch sich ein Slow Food Wein auszeichnet“, ja auch bereits in unserer Zeitschrift ein bisschen undifferenziert geführt wurde, informieren wir uns an der Quelle des Wissens bei Martin Kössler darüber. Er verfolgt seit mehr als 10 Jahren das Konzept des langsamen Weins.
Basiswissen und interessante Details rund um den den slowen Wein im Weinberg und Weinkeller incl. zahlreicher praktischer Beispiele. Es wird sicher wieder ein spannender Abend!
Hier kann man sich noch „slow“ anmelden.
Nutzen Sie, so weit möglich, für die Anreise zu den Veranstaltungen die öffentlichen Verkehrsmittel. Eine Verbindungsmöglichkeit können Sie sich bei der VGN-Auskunft geben lassen!
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Die Definition des Begriffs von Martin Kössler
Die Zeit – sie ist für Wein eines der wichtigsten Qualitätskriterien.
Der Einzug moderner Technik in Keller und Weinberge seit den sechziger Jahren veränderte die Weinkultur nachhaltig und bereitete heutigem Weinkonsum den Weg: Einst dauerte die Gärphase je nach Jahrgang und Traubenqualität einige Monate; nach ausreichend Reifezeit im Faß und auf der Hefe wurde schließlich oft erst nach Jahren auf Flasche gefüllt. Solche wahrlich „langsamen“ Weine z. B. aus den Zwanziger Jahren bieten noch heute erstaunliches Trinkvergnügen und künden von vergangenen Zeiten mit großem Genuß. Dagegen wirken Weine aus besagten Sechziger und Siebziger Jahren, der Hochzeit agrarchemischer Beschleunigung, bis auf wenige Ausnahmen überaltert, müde, ermüdend.
Was macht den Unterschied?
Der Einsatz synthetischer Düngemittel beschleunigte Wachstum und Ertrag der Reben. Die übermäßige Düngung verursachte aufgeblasene, krankheitsanfällige Hochertrags-Trauben, die komplexe synthetische Spritzmittel benötigten, um in einigermaßen erträglichem Zustand verarbeitet werden zu können. Um derart kontaminierte Trauben zur Gärung zu bringen, wurden synthetisierte Reinzuchthefen entwickelt, die ihre Arbeit risikolos für den Winzer verrichten, was sie in Verbindung mit entsprechender Weintechnik so effizient tun, daß die Weine schon wenige Wochen nach der Lese füllfertig und trinkbereit sind. Der moderne „schnelle“ Wein war geboren.
Die Zeit macht „schnelle“ Konsumweine von „langsamen“ Qualitätsweinen unterscheidbar.
Konsumwein ist zwangsläufig „schnell“.
Billig muß er produziert werden, um billig verkauft werden zu können. Die Spritzpläne der Agrarchemie ersetzen die Arbeit im Weinberg. Präzise geplante Anonymität industrieller Verarbeitung, die sich an engen modischen Geschmacks- und Geruchsvorstellungen im Glas orientiert, garantiert seine Marktgängigkeit: Konsumwein muß unabhängig von nationalen Geschmacksgewohnheiten rund um den Globus schmecken, muß weltmarkt-kompatibel sein, muß als Rotwein Farbe haben, ohne aber durch Gerbstoffe zu fordern, muß als Weißwein „spritzig, leicht und frisch“ sein und das so neutral und so unaufdringlich wie möglich. Anonyme Grundweine werden mit dem Make-up moderner Chemie auf eine „Qualität“ getrimmt, die so schnell gemacht ist, wie sie konsumiert wird. Nichts für uns, und alles, nur kein Schnäppchen!
Qualitätswein muß nicht um jeden Preis „langsam“ sein.
Wein wird schließlich zum Trinken gemacht. Er darf auch einfach nur schmecken, für Entspannung sorgen, ein gutes Gespräch oder Buch begleiten, im Kreise von Freunden fröhlich verdunsten, einer Feier zum Erfolg verhelfen und am Grill einen gemütlichen Abend ausklingen lassen. Weil moderne „schnelle“ Qualitätsweine mit populären Fruchtaromen angenehme Schlüsselreize auslösen, hat sich der Weinkonsum in den letzten zwanzig Jahren vervielfacht. Qualitätswein hat breite Akzeptanz gefunden durch technisch definierte, für die Produzenten „sichere“ Standardqualität.
Die meisten Winzer bereiten also nicht umsonst ihre Weine mittels risikoloser schneller Reinzuchthefevergärung in reduktivem Ausbau. Unkompliziert und zugänglich setzen sie vordergründig auf den Charakter der Rebsorte und liefern Weine mit reintönigem Duft und fruchtigem Geschmack. Dagegen sind Alltags-Qualitäten aus „langsamer“ Produktion die Ausnahme.
Der Unterschied? „Langsame Weine“ sind frei von
Übererträgen:
Simple Ertragsreduzierung ist das einfachste Mittel, um Konzentration und Aroma im Wein zu erzielen. Man schmeckt sie sofort.
Übermanipulation:
Wiederholtes Transportieren, Umpumpen, Schönen, Klären, Korrigieren und Stabilisieren schadet Intensität und Aromen eines Weines massiv.
Überaroma:
Reinzuchthefen und Aromaenzyme liefern Reintönigkeit mit populärer „Fruchtigkeit“, nivellieren aber Herkunft und Charakter.
Überholzung:
In Rotweinen spielt das Holzfaß die entscheidende Rolle für die Tanninqualität. Die Industrie bedient sich alternativer Methoden, um den Holztouch preiswert und effizient in den Wein zu bekommen: Holzersatzstoffe sind bei vielen Weinen unter 10.- Euro längst die Regel.
Über- oder Unterschwefelung:
Schwefel im Wein ist nicht verwerflich, sondern ein uraltes, natürliches Konservierungsmittel, das aber sorgfältig eingesetzt werden will. In unseren ehrlichen „schnellen“ Qualitätsweinen ist Schwefel weder ein Qualitäts- noch ein Geschmackskriterium.
„Langsame“ Weine sind weder kompliziert noch teuer.
„Langsamer Wein“ ist bekömmlich und schmeckt nicht nur nach mehr als er riecht, er ist anspruchsvoller, ist nie bitter, dafür weich, saftig und cremig im Nachklang, verlangt Geduld im Glas und auf der Flasche und setzt die Neugier des Weinfreundes voraus, denn sein ungewohnter Charakter verlangt Offenheit für Neues. „Langsamer“ Wein wird nicht für einen konkreten Markt oder ein bestimmtes Geschmacksbild produziert, sondern reflektiert seine Lagen- und Bodenqualität in geschmacklicher Individualität und kann nur hoffen, daß er seinen Markt findet. „Langsamer“ Wein ist bewußt „entschleunigt“, weshalb er „anders“ ist und „anders“ schmeckt.
Langsame Weine stammen von standortgerechten Rebsorten, nicht von schnellen Mode-Rebsorten.
Ihre Bearbeitung im Weinberg erfolgt nicht im permanenten Kampf gegen, sondern im profunden Verständnis der Natur. War Weinbau früher sehen und erleben, Erfahrung aus Versuch und Irrtum, ist es im langsamen Wein Wissenschaft in Verbindung mit der Wiederentdeckung alten Erfahrungswissens, also Fortschritt in der Entschlüsselung der Natur und Verwendung dieses Wissens nicht gegen, sondern für sie, z. B. unter Berücksichtigung natürlicher Rhythmen wie der Mondphasen bei der Bearbeitung.
Langsame Weine können nur auf Böden entstehen, die leben und gesund sind.
Sie enthalten also jene natürlichen Nährstoffe, die der Rebe ein funktionierendes Nährstoffgleichgewicht ermöglichen. Das kann nur mit naturnahem, ökologischem oder biodynamischem Anbau funktionieren. Organischer Dünger ist für „langsame Weine“ ebenso Voraussetzung, wie eine Arbeitsweise im Weinberg, die das Bodenleben fördert und die Böden nicht verdichtet. Durch aufwendige Blattwerksarbeit werden Photosynthese und Wasserhaushalt der Rebe gesteuert. Nur Lagen geeigneter Exposition mit entsprechender Wasserversorgung und natürlich vorhandenem Nährstoffgehalt bringen niedrige Erträge, die unmißverständlich Herkunft offenbaren.
Langsame Winzer erzielen Extraktion, Konzentration und Expressivität im Weinberg.
Sie brauchen keine Konzentrations- und Fraktionierungsmaschinen im Keller, weil sie durch entsprechend niedrige Erträge Extrakt und Aroma, Charakter und Struktur auf natürliche Weise in den Trauben erzielen. Authentizität finden sie in alten Reben, steilen Lagen, kargen Böden und dichten Pflanzungen – natürlichen Barrieren für große „schnelle“ Ernten.
Langsame Weine haben tunlichst niedrigeren Alkoholgehalt.
Der Klimawandel zeitigt bereits dramatische Folgen im Wein, schmeck- und spürbar: Die Alkoholgehalte der Weine steigen weltweit. Langsame Winzer, die im Weinberg biodynamisch arbeiten, können über entsprechende Boden- und Laubarbeit den Wasserhaushalt ihrer Reben „regulieren“ und erreichen damit eine veränderte Rebphysiologie, die frühere Lese bei identischer physiologischer Reife mit „normalen“ Säure- und Alkoholwerten ermöglicht. Ihre Weine schmecken angenehm „straff“ und mineralisch und vereinen faszinierende innere Frische im Trunk mit besonderer Bekömmlichkeit.
Langsame Winzer ernten von Hand.
Sie ernten gesundes Lesegut, das reife und gesunde Trauben für reintönige und komplexe Aromatik liefert, frei von Fehltönen durch faule oder unreife Beeren. Damit ihre Trauben unbeschädigt im Keller ankommen, erfolgt deren Transport in kleinen Behältern. Vor der Kelter werden diese noch einmal sorgfältig ausgelesen.
Langsamer Wein heißt schonende Weinbereitung.
Langsame Winzer bevorzugen kleine Gärgebinde (möglichst aus Holz), die ob ihrer thermischen Trägheit und kleiner Volumina keine Temperaturregelung benötigen und deshalb z. B. schmeckbar sensiblere Extraktion der Gerbstoffe liefern. Kellertechnische Eingriffe, die den Einfluß von Lage, Rebsorte und Jahrgang beeinträchtigen, wie der Zusatz von Hefen, Enzymen, Säuren, Zucker oder Süßreserve sowie künstliche Konzentration, Fraktionierung, übermäßige Extraktion, Kältebehandlung, Schönung, scharfe Filtration oder Pasteurisierung lehnen „langsame Winzer“ ab.
Langsame Weine brauchen die Freiheit, aus sich selbst heraus ihre von der Natur gegebenen Anlagen zu entwickeln
Deshalb ist für „langsame“ Winzer die Vergärung mittels natürlicher wilder Umgebungshefen Grundvoraussetzung. Diese sogenannte „Spontanvergärung“ verläuft nicht nur langsamer und komplexer als Reinzucht-Vergärung, sie führt in Verbindung mit entsprechendem Ausbau auf der verbliebenen Voll- bzw. Feinhefe auch zu einer im Vergleich zu „schnellen Weinen“ schmeckbar anderen Chemie im Wein. Diese äußert sich in der „Textur“, einem räumlich im Mund spürbaren, cremig wirkenden, mundfüllenden Geschmacksgefühl. Langsame Weine verströmen weniger „Duft“, besitzen dafür aber mehr und vor allem vielschichtigere Aromen; sie beweisen wesentlich mehr Frische mit klar akzentuiertem Herkunftscharakter, der sich, je nach Qualitätsniveau, in mehr oder weniger markanter, stets pikant wirksamer Mineralität offenbart, nur in spontan vergorenen langsamen Weinen finden Herkunft und Lage präzisen Ausdruck. Daß langsame Weine haltbarer und entwicklungsfähiger sind als vergleichbare, per Reinzuchthefe vergorene schnelle Weine, sei am Rande erwähnt.
Langsame Weine sind mehr als nur „Bio“.
Wer Weine aus biologischem Anbau kauft, glaubt, er würde Biowein kaufen. Den aber gibt es (noch) nicht! Die EU-Ökoverordnung regelt zwar den Anbau der Trauben im Weinberg, doch der Ausbau im Keller unterliegt bislang keinen besonderen gesetzlichen Bestimmungen. An der Kellertreppe endet also für den weitaus größten Teil der Biowinzer das Öko-Engagement. Sie klären ihre Moste scharf vor, vergären in Edelstahl mit sicheren und schnellen Reinzuchthefen, benutzen Eichen-Chips als Holzersatz, schwefeln nach Bedarf, klären ihre Weine mit üblichen Schönungsmitteln und benutzen, wenn es sein muß, Enzyme, Kohle, Filter und andere Hilfsmittel des konventionellen Weinbaus. Ich lege bei „langsamen Weinen“ weit höhere Maßstäbe an die Verarbeitung im Keller an, als sie die meisten „Bio-Weine“ erfüllen. Für mich ist „Bio“ weit mehr als nur chemiefreier Weinberg. „Bio“ im Wein muß vielschichtiger, authentischer und individueller schmecken, als vergleichbar guter konventioneller Wein. Viele langsame Winzer sind zertifiziert oder befinden sich in Umstellung (viele von ihnen auf Biodynamik). Sie unterscheiden sich von konventionellen Biowinzern aber dadurch, daß biologischer Anbau für sie nicht Ziel, sondern zwingende Voraussetzung ist für entsprechend konsequent ökologischen Ausbau im Keller, mit obligater Spontanvergärung und Verzicht auf die üblichen Hilfsmittel moderner Önologie.
Langsame Weine brauchen Luft.
Sie erhalten während ihrer Entwicklung ausreichend Luft zum Atmen, das heißt, sie werden nicht unter hermetischem Sauerstoffabschluß gehalten, also nicht „reduktiv“ ausgebaut. Die meisten langsamen Winzer verwenden Holzfässer für den Ausbau der Weine, zum Teil auch für die Gärung, nicht, um Geruch und Geschmack der Weine mit Holzaromen zu parfümieren, sondern um den physikalischen Effekt des Holzes zu nutzen. Langsame Weine kommen deshalb meist aus Holzgebinden.
Langsame Weine brauchen Zeit.
Sie entstehen nach ihrer eigenen inneren Uhr, haben Zeit zum Gären und Reifen. Sie dürfen auf der Maische mazerieren, wochen- oder monatelang gären, anschließend so lange auf der Hefe reifen, wie sie sich qualitativ entwickeln. Entsprechend dem langsamen Beginn ihres Lebens reifen langsame Weine auch langsam auf der Flasche. Und selbst im Glas sind sie ständigem, spannendem Wandel unterworfen. Sie sollten grundsätzlich mehrere Stunden vor Genuß dekantiert werden, Weißwein mehr noch als Rotwein, um zu offenbaren, welches Feuerwerk an Duft und Geschmack in ihnen steckt.“